4. Mai 2017

In seinem Urteil vom 16.06.2016 (AZ: I ZR 46/15) hat der Bundesgerichtshof (BGH) sich mit der Frage befasst, ob die Nutzung eines Raumes in einer Arztpraxis durch einen Gewerbebetrieb einen Nebenbetrieb im Sinne von § 3 Abs. 1 Handwerksordnung (HwO) darstellt. Darüber hinaus urteilte er, ob entsprechende Beschilderungen des Handwerksbetriebes in der Arztpraxis nach der Berufsordnung für Ärzte erlaubt sind. Die Antwort lautete in beiden Fällen: Nein. Insbesondere die ärztliche Berufsordnung verbietet solche Kooperationen.

Der Sachverhalt

Im vorliegenden Fall ging es um ein Unternehmen, dass sowohl an einem Ort in einem Sanitätshaus (Hauptsitz) als auch an einem anderen Ort in den Räumlichkeiten einer Facharztpraxis für Orthopädie Leistungen des Orthopädiehandwerks erbrachte. Das Unternehmen wurde von einem Wettbewerber auf Unterlassung sowie Schadensersatz in Anspruch genommen. Die erste Instanz sowie die Berufungsinstanz erteilten dem Wettbewerber noch eine Absage. Im Rahmen der Revision vor dem BGH hatte er Erfolg.

Der BGH hat sich im Rahmen seiner Begründung zu den streitigen Fragen im Hinblick auf die Bestimmungen der Handwerksordnung sowie der Berufsordnung positioniert. Das Berufungsgericht, an das die Sache zur abschließenden Entscheidung zurück verwiesen wurde, wird damit eine Entscheidungsgrundlage an die Hand gegeben, die zu beachten ist.

Gesundheitsinteresse der Patienten

Der BGH befasst sich umfangreich mit den Voraussetzungen der Handwerksordnung. Nach den Worten des 1. Zivilsenats ist grundsätzlich in jeder Betriebsstätte eines Gesundheitshandwerks eine ständige Meisterpräsenz erforderlich. Gibt es nur einen Betriebsleiter und liegen die Betriebe jedoch örtlich so weit auseinander, dass eine Erreichbarkeit innerhalb weniger Minuten ausscheidet, sind die Voraussetzungen für den erlaubten Betrieb eines Gesundheitshandwerks im Sinne der Handwerksordnung nicht erfüllt.

Bei dem Orthopädietechnik-Betrieb in den Räumen der Facharztpraxis kann es sich nicht um einen vom Gebot der Meisterpräsenz befreiten handwerklichen Nebenbetrieb im Sinne von § 3 Abs. 1 HwO handeln. In Betracht komme nach Meinung der Richter allenfalls eine Zweig- oder Außenstelle, die jedoch dem Gebot der Meisterpräsenz unterliegt.

Handwerklicher Nebenbetrieb

Handwerkliche Nebenbetriebe sind immer solche Betriebe, die mit einem anderen Unternehmen verbunden sind (§ 3 Abs. 1 HwO i.V.m. § 2 Nr. 2 und 3 HwO). Die Inhaber beider Betriebe müssen dafür zumindest wirtschaftlich identisch sein und wirtschaftlich, organisatorisch und fachlich eine Beziehung zueinander haben. Im Nebenbetrieb werden gleichwohl nicht dieselben Leistungen erbracht wie im Hauptbetrieb. Der Nebenbetrieb stelle vielmehr eine sinnvolle Ergänzung und Erweiterung des Leistungsangebotes des Hauptbetriebes dar.

Handwerkliche Nebenbetriebe können unter Umständen nach § 3 Abs. 1 HwO von der Meisterpräsenzpflicht befreit sein, wenn u.a. die dort ausgeübte Tätigkeit nur einen unerheblichen Umfang hat.

Der BGH ist der Auffassung, dass weder im Verhältnis zum Hauptsitz noch im Verhältnis zur Facharztpraxis hier ein handwerklicher Nebenbetrieb angenommen werden kann. Sowohl am Hauptsitz als auch in der Facharztpraxis wurden durch das Orthopädietechnik- Unternehmen die identischen Leistungen angeboten. Im Verhältnis zur Facharztpraxis fehlte es an der wirtschaftlichen Verbundenheit, da der Betrieb selbstständig und wirtschaftlich tätig war.

Zweigstelle und Meisterpräsenz

Der BGH urteilte entsprechend, dass der Betrieb in der Facharztpraxis als Zweig- oder Außenstelle anzusehen ist. Nach der Handwerksordnung sei es möglich, ein Handwerk an mehreren Orten zu betreiben. Eine gesetzliche Regelung, wann in diesen Fällen eine Meisterpräsenz erforderlich ist, fehlt. Der BGH geht im Ergebnis beim Gesundheitshandwerk gleichwohl von einer grundsätzlichen Meisterpräsenzpflicht aus.

Ob bei Zweigstellen das Gebot der Meisterpräsenz erfüllt ist, hänge nach Auffassung der Richter wiederum davon ab, ob der Betriebsleiter selbst bei teilweiser Abwesenheit innerhalb weniger Minuten am Ort der Zweigstelle sein kann. Dies gelte auch völlig unabhängig davon, ob Hauptbetrieb und Zweigstelle in unterschiedlichen Handwerkskammerbezirken liegen oder nicht. Nach den deutlichen Worten des BGH genüge es nicht, wenn ein Meister eine Vielzahl von Betrieben oder weit von einander entfernt liegende Betriebe zu betreuen hat und nur ganz gelegentlich oder gar überhaupt nicht in dem fraglichen Betrieb zur Verfügung steht.

In dem fraglichen Betrieb in der Facharztpraxis stand offensichtlich gar kein Betriebsleiter zur Verfügung. Das Gebot der Meisterpräsenz war somit nicht eingehalten. Dies stellt einen Verstoß gegen die Handwerksordnung dar, weshalb der Betrieb in der Facharztpraxis in dieser Form zu untersagen ist.

Unerlaubte Patientenzuweisung durch Beschilderungen

Dreh- und Angelpunkt der Frage, ob Kooperationen zwischen Ärzten und Hilfsmittelerbringer in dieser Form zulässig sind, ist allerdings vor allem im Berufsrecht der Ärzte zu finden. Im beschriebenen Fall war ein Firmenschild an dem für den Orthopädietechnikbetrieb überlassenen Praxisraum angebracht. Zudem waren in der Praxis Wegweiser zu diesem Praxisraum aufgestellt.

Berufsrechtsverstoss

Der BGH sah darin einen Verstoß gegen die geltende ärztliche Berufsordnung, hier § 31 Abs. 2 BayBOÄ (entspricht § 31 Abs. 2 MusterBO-Ä). Hiernach ist es Ärzten u.a. untersagt, Patienten ohne hinreichenden Grund an bestimmte Hilfsmittelerbringer zu verweisen. Damit sind grundsätzlich auch Empfehlungen gemeint, jedenfalls dann, wenn der Patient den Arzt nicht ausdrücklich um eine Empfehlung bittet. Hintergrund ist der Zweck der Vorschrift. Die unbeeinflusste Wahlfreiheit von Patienten in Bezug auf Apotheken, Geschäfte und Anbieter gesundheitlicher Leistungen soll gewährleistet bleiben.

Mit der Bereithaltung des Raumes für den Orthopädietechnikbetrieb sowie die geduldeten Wegweiser in der Praxis spreche der Arzt eine verbotene Empfehlung an seine Patienten aus. Zwar richten sich die Regelungen der Berufsordnung und somit auch das Zuweisungsverbot an Ärzte. Eine Haftung des Handwerksbetriebes als sog. Täter im Hinblick auf die Verbotsnorm komme daher nicht in Betracht, gleichwohl aber eine Haftung als sog. Teilnehmer in Form eines Anstifters oder Gehilfen.

In der Konsequenz bedeutet dies, dass neben dem jeweiligen Handwerksbetrieb sich auch die kooperierenden Ärzte haftbar machen, wenn sie eine entsprechende Raumnutzung mit Beschilderungen in ihren Praxisräumen zulassen. Der Orthopädietechniker ist hier nur der Anstifter oder Gehilfe für das verbotene Zuweisungsverhalten der Fachärzte.

Fazit

Es mag auf den ersten Blick eine sinnvolle Ergänzung sein, die ärztliche Tätigkeit mit dem passenden Handwerk in den Praxisräumen zu verbinden. Für Patienten könnte dies durchaus auch als positives Serviceangebot verstanden werden. Sie können sich dadurch weitere Wege zu einem Heil- und Hilfsmittelerbringer oder sonstigen Anbieter gesundheitlicher Leistungen sparen.

Von solchen Kooperation ist spätestens nach diesem Urteil dringend abzuraten. Die Rechtsprechung fordert eine ganz klare Trennung. Die Wahlfreiheit der Patienten ist oberstes Gebot. Selbst wenn der Betrieb eines zulassungspflichtigen Handwerks die Voraussetzungen der Handwerksordnung erfüllt, insbesondere das Gebot der Meisterpräsenz eingehalten wird, wird ein Verstoß gegen das ärztliche Berufsrecht kaum zu überbrücken sein. Hierbei haften sowohl Ärzte also auch der Handwerksbetrieb, weil schon entsprechende Beschilderungen in der Arztpraxis einen Verstoß gegen das Verbot der unerlaubten Patientenzuweisung darstellen.

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